„WIR MÜSSEN MAL LANGSAM ZUR NORMALITÄT ZURÜCK!“
Eine Pandemie beherrscht die Welt. Einige Teile in der Welt sind sehr schlimm betroffen, andere weniger schlimm. In Deutschland sind wir bisher noch eher glimpflich davon gekommen. Und das ruft die auf den Plan, die sagen, dass alle Maßnahmen doch reichlich überzogen sind. Ein Lockdown hätte es nicht geben müssen, Maskenpflicht ist Quatsch…
Ich möchte einfach mal behaupten, dass wir gerade nochmal mit blauem Auge davon gekommen sind, WEIL wir so früh gehandelt haben.
Im Moment wird in meinem Dunstkreis immer lauter nach Normalität geschrien. Mit meinem Dunstkreis meine ich die große Welt der Otakus mit Anime, Manga, Cosplay und Conventions. Gerade letzteres musste ja, wie so vieles andere bisher, in diesem Jahr ausfallen. Aus gutem Grund.
Alle größeren Veranstaltungen in dieser Richtung wurden bis Ende September abgesagt, ob die anderen geplanten Conventions stattfinden können, das steht in den Sternen. Alle Conventions? Nein, mitnichten…
Nenn eine Convention einfach Messe, dann darf die natürlich unter Auflagen stattfinden. Mitte September in Düssedorf in den Messehallen. Die Dokomi.
Dieses soll auf keine Fall ein Boykott sein. Dies ist einfach nur ein Hinterfragen, ob man denn alles, nur weil es erlaubt ist, in dieser Zeit auch machen sollte. Das ist wie mit dem Rauchen, das ist erlaubt, muss man aber nicht zwingend machen. Ist nämlich nicht gesund. Ich will auch keinem die Messe ausreden. Jeder muss selbst wissen, ob er diese Veranstaltung besucht oder eben nicht. Dies ist nämlich, man höre und staune, ein freies Land, auch wenn einige zur Zeit etwas anderes behaupten…
Alle, die sagen, natürlich muss die Dokomi stattfinden, wir müssen nämlich auch mal wieder zur Normalität zurück, die gehen mir echt auf den Keks.
Ja, es muss wieder Normalität geben. Aber ich glaube, in den Köpfen ist noch nicht angekommen, dass es eine neue Normalität gibt. Und zu der gehört eben das Tragen von Masken, der Abstand und das nicht Händeschütteln.
Zur neuen Normalität gehört dann auch vielleicht, dass man als Otaku nicht auf eine Veranstaltung geht, sondern sein Hobby eher im kleinen Rahmen stattfinden lässt. Alles, wirklich alles wurde abgesagt… Aber die Otakus müssen eine Messe haben…
Da frage ich mich dann doch, wie egoistisch das ist.
Aber gut, gehen wir den Weg einfach mal. Sagen wir „Ja, wir brauchen wieder eine Normalität!“ Und weil der Mensch ein faules Tier ist, ist die neue Normalität einfach die alte Normalität.
Beginnen wir einfach mit dem Naheliegendsten: der Schlange am Eingang. Wobei „Schlange“ ist hier wohl kaum der treffende Ausdruck für das pulkartige Gebilde, das sich vor den Messehallen bildet und auf Einlass wartet. Es gibt zwar sowas wie eine „Ordnung“, aber eben nicht so wie sie in Corona-Zeiten sein sollte: 1,5m Abstand zum Vordermann…. Wobei hier ist ja der Witz, den ich auch an der Supermarktkasse nicht begreife: Wir halten brav 1,5m Abstand zum Vordermann, aber nach links und rechts…. eher nicht so. Aber das Virus fliegt ja auch nur in eine Richtung, von daher….
Zur Ehrenrettung der Otakus sei aber gesagt: Das mit „in der Schlange stehen“ klappt auch an Supermarkteingängen nur bedingt, wie wir aus eigener Erfahrung wissen und sogar mit Fotos dokumentiert haben (die ich aber wegen der DSGVO nicht zeigen darf).
Doch nehmen wir einfach mal an, es klappt, eine geordnete Schlange zu bilden. Bei 15.000 Besuchern, die alle 1,5m Abstand zum Vordermann halten würden, wäre die Schlange alleine 22,5 km lang. So Pi mal Daumen. Das könnte man jetzt entzerren, wenn mann mehrere Eingänge hat, um die Leute reinzulassen, oder indem man „Zeitslots“ vorgibt, es also nicht räumlich (allein) sondern auch zeitlich entzerrt.
Aber *hustanfall* welcher Otaku macht das bitte mit? Nein, meine Erfahrung sagt mir ganz klar, dass es etliche unter ihnen gibt, die sich nich vorbildlich verhalten, und das Ordnungsamt ist da leider nicht sehr nachsichtig. Tanzt einer aus der Reihe, kann es ganz schnell bedeuten, dass die ganze Convention die Tore schließen muss.
Das nächste Problem: Etliche der Otakus sind äußerst kuschelbedürftig (das ist noch vorsichtig ausgedrückt). Damit meine ich nicht nur die „Free Hugs“-Schilder (über die könnte ich einen ganzen Blogbeitrag schreiben, der in etwa lautet „Warum Free Hugs Schilder Sexismus begünstigen“, aber das würde hier zu weit führen).
Ich meine generell die körperliche Nähe zwischen Otakus. Da werden beim Cosplay Zärtlichkeiten ausgetauscht, denn Shounen-Ai rockz. Es werden Freunde geknuddelt, die man lange nicht gesehen hat (und wegen Corona ja noch länger nicht), und so weiter und so weiter.
Das alles ist jetzt noch harmlos, und nehmen wir doch einfach mal gutgläubig an, die Otakus sind alle (!) diszipliniert, halten Abstand, halten sich an die Regeln…. es gibt einfach Dinge, die KÖNNEN sie nicht beeinflussen.
Zum Beispiel: Wie voll ist die Bahn/der Bus, mit der/dem ich zur Halle anreise? Ich meine, 15.000 Leute müssen ja auch irgendwie zur Dokomi hin, und wieder zurück. Und da das Durchschnittsalter der Besucher sicherlich unter 18 liegt, können nicht alle mit dem Auto anreisen. Und selbst WENN sie es täten, kämen sie vom Parkplatz nur mit einem *hier Karnevalstusch einspielen* Shuttlebus zur Halle. Oder sie laufen… aber…. bei etlichen Cosplays ist das unpraktisch, und daher unwahrscheinlich.
Da kann man eigentlich nur hoffen (und ich gehe auch stark davon aus), dass die Organisatoren mehr Shuttlebusse einsetzen, um so die nötigen Abstände einhalten zu können.
Mir persönlich sind das allerdings ein paar Variablen zuviel (und das sage ich als Mathefan). Deshalb habe ich mich dazu entschieden, erstmal ALLEN Conventions fernzubleiben.
Denn das ist MEINE neue Normalität. Die bedeutet: Einschränkungen, andere Handlungs- und Verhaltensweisen, neue Regeln, neue Dinge, die wir beachten müssen.
Ich erinnere mich an eine Zeit, als die Reisefreiheit ein Stück weit beschränkt wurde. Auch dieses Ereignis hatte gravierende Folgen, über die heute aber niemand mehr ernsthaft nachdenkt, weil sie „Normalität“ geworden sind.
Flüssigkeiten dürfen nur noch in kleinen Mengen mit ins Flugzeug genommen werden, es gibt intensive Untersuchungen des Fluggepäcks auf Drogen und Sprengstoff. Ja, die Mehrheit war da vielleicht noch nicht geboren, aber der Rest weiß, was ich meine, oder? Richtig, den 11. September 2001. Seitdem müssen wir uns bei Reisen ins Ausland auf „andere“ Regeln gefasst machen. Aber egal, oder? Ist ja „normal“, dass der Sprengstoffspürhund jedes einzelne Kleidungsstück genau unter die Lupe, pardon, Nase nimmt.
Und genau das meine ich. Die DSGVO ist für uns mittlerweile Normalität Eine neue Normalität, freilich, aber mal ehrlich: Wieviel hat sich letztlich wirklich verändert? Wir müssen bei Fotos um Erlaubnis fragen, aber das gebietet eigentlich schon der Anstand. Wir dürfen nicht einfach mehr Dinge hochladen, die uns nicht gehören, aber … daran hat sich vorher ja auch niemand gehalten.
Und mit Corona erfolgt eben die nächste Anpassung der Normalität. Da gibt es dann eben mehr Abstand, man muss Mundschutz tragen, sich öfter die Händewaschen, sich mit den Ellenbogen begrüßen.
Aber auch wenn das jetzt nach „Fallout: New Vegas“ oder „The Last of Us“ klingt: Anders als in den Videospielen (in denen übrigens auch wieder eine Normalität eingekehrt ist), müssen wir diese Regeln ja nicht auf ewig befolgen. Es wird Impfstoffe geben, wirksame Medikamente, und dann können wir WIRKLICH wieder zur alten Normalität zurückkehren.
Doch bis dahin sollten wir uns selber fragen: was ist WIRKLICH wichtig? Müssen wir wirklich wieder ins Kino, nur weil es erlaubt ist? Sollten wir WIRKLICH ins Restaurant gehen, und dort essen? Müssen wir uns WIRKLICH auf einer Convention treffen, oder reicht es nicht, sich mal „einfach so privat“ zu treffen?
Denn nur weil etwas erlaubt ist, nur weil etwas stattfindet, sollten wir deshalb nicht unseren gesunden Menschenverstand ausschalten, und sofort hinrennen.
Beispiel: Es ist in Deutschland NICHT verboten, aus dem Gefängnis auszubrechen, solange man keinen Wachmann/keine Wachfrau verletzt oder Sachen beschädig. Man wird deshalb nicht „härter“ bestraft, sondern muss – wenn man gefasst wird – einfach seine Haftstrafe fortsetzen. Aber ist es deshalb klug, es zu tun, bzw. es zu versuchen? Das Risiko ist viel zu groß, dass man sich beim Ausbruch eben doch strafbar macht, und dadurch seine Haftstraft verlängert.
Klar, wir haben eine Sache jetzt gar nicht betrachtet: die Wirtschaft. Natürlich ist es für jeden Con-Veranstalter ein Desaster, wenn ihm die Veranstaltung untersagt wird. Aber ähnlich wie den Veranstaltern, nicht nur von Conventions, sondern auch von Konzerten, Kinobetreibern und anderen Kulturbetrieben, geht es eben auch den Künstlern, denen durch das Nicht-Stattfinden der Veranstaltung Geld verloren geht.
Natürlich ist Corona scheiße, darüber brauchen wir nicht reden. Aber es wird eine Zeit nach Corona geben, und auf diese Zeit sollten wir uns natürlich freuen. Aber wir sollten auch Geduld haben. Denn Corona ist nicht tot. Und Corona sitzt nicht nur in den Klimaanlagen diverser Schlachtbetriebe in Deutschland. Corona könnte von der Person verbreitet werden, neben der Ihr im Bus oder der Bahn gesessen habt. Jeder Körperkontakt könnte dazu führen, dass Ihr Euch ansteckt. Und selbst, wenn ihr vielleicht glimpflich davon kommt, nur Halsschmerzen habt, oder sogar komplett ohne Symptome auskommt, seid Ihr Überträger. Und da kann es sein, dass Ihr beim nächsten Verwandtenbesuch die Oma ansteckt. Ohne es zu wissen, ohne es zu wollen.
Denn eines steht fest: Die Hygiene-Konzepte und Gesundheitsprophylaxe in Messehallen, Gaststätten, Kinos, Discotheken kann noch so gut sein, sie steht und fällt mit der Regelbefolgung der Besucher. Und ja, vielleicht befolgt Ihr die Regeln bis auf den letzten I-Punkt. Aber könnt ihr euch wirklich 100%ig sicher sein, dass die Person vor Euch in der Schlange es auch tut? Ich kann es jedenfalls nicht.
Nochmal: Das hier ist kein Boykott-Aufruf, ich möchte lediglich meine Gedanken zum Ausdrucken bringen, weshalb ich es gefährlich finde, dass diverse „Kulturkreise“, seien es Otakus, Fußballsfans etc., zur „Normalität“ zurückkehren wollen, denn die Normalität, die ihnen vorschwebt ist leider genau DIE Normalität, die Länder wie Italien, Spanien, Großbritannien oder die USA zu derart extremen Infektionszahlen geführt hat. Denn sind wir mal ehrlich: hätte die Regierung in Deutschland nicht sofort auf einen Lockdown bestanden, und „drakonische“ Maßnahmen beschlossen, wer weiß, ob wir nicht mit Donald Trump um das goldene Virus konkurrieren würden.
Ich persönlich finde es jedenfalls gut, dass viele Veranstalter sagen „Wir dürften zwar, aber ganz ehrlich, das ist uns zu heiß“. Und für alle die, die jetzt jammern, hier ein paar Tipps:
- Es ist nicht verboten, sich außerhalb Conventions zu treffen. War es übrigens nie, man kann sich also auch privat treffen, der Weg ist der selbe.
- Falls ihr Angst habt, dass die Conventions Pleite gehen: Gebt eure Karten einfach nicht zurück. „Spendet“ das Eintrittsgeld. Im „Mainstream-Kulturbereich“ funktioniert das jedenfalls ganz gut.
- Ihr braucht doch keine Conventions, um Zeichner zu unterstützen. Das geht Online mega gut! Zur Not, wenn der Zeichner/die Zeichnerin keinen Onlineshop hat, schreibt eine eMail. Und natürlich: liken, teilen, kommentieren.
- Und das ist vielleicht der wichtigste Punkt: Ihr seid doch nicht nur auf Conventions Otakus oder? Genauso wie ein Fußballfan nicht aufhört Fan zu sein, sobald er das Stadion verlässt, lebt ihr doch euer Fandasein 24/7 aus. Und das kann auch kein Virus der Welt stoppen! Auch Tai musste lernen, das Geduld wichtig ist (ihr wisst schon, die Skull-Greymon-Nummer). Also schafft ihr das auch!
Vielleicht wird die „Normalität“ ja schon schneller zurückkehren als ihr glaubt, aber mal ehrlich: Was ist schon „normal“? Und das mit den Gesichtsmasken hatten wir Otakus doch schon viel früher drauf, als die „normale“ Bevölkerung. Also schnappt euch eure Lieblings-Neko-Maske, und dann ab zur Dokomi. Oder auch nicht, die Entscheidung liegt bei euch. Aber vielleicht, nur vielleicht, könnt ihr die Dokomi 2021 umso mehr genießen, wenn ihr dieses Jahr vielleich einfach mal aussetzt, und so dem Corona-Virus zeigt, wohin es sich seine Infektion stecken kann.