Seit 3 Monaten läuft nun schon meine Psychotherapie. Und die erste große Baustelle meistere ich sehr gut. Mit Höhen und Tiefen, auch mal mit einem Rückschlag. Aber ich habe es geschafft, sehr rigeros, eindeutig, aber nötig eine Grenze zu ziehen.
Ich bin weiterhin für meinen Vater da, ich unterstütze ihn, wo ich denke, das Unterstützung erforderlich ist. Aber ich gebe auch Aufgaben ab und lasse mich von ihm nicht mehr herumkommandieren. Und schon gar nicht beleidigen. Richtig gefetzt haben wir uns seit drei Wochen nicht mehr. Denn immer, wenn etwas blöd gelaufen ist, dann bin ich gegangen. Erst noch mit Ansage, dann jedoch kommentarlos. Ich möchte mich nicht immer wieder runterputzen lassen. Das habe ich nicht nötig. Und schon gar nicht von meinem Vater…. Erst recht nicht von meinem Vater. Wenn er Respekt verlangt, dann möchte ich das ebenfalls. Das hat nichts mit Undankbarkeit und Hartherzigkeit oder gar Faulheit zu tun, wie ich es von vielen Menschen schon gehört habe. Von Menschen, die einfach keinen blassen Schimmer haben, wie anstrengend und auslaugend das ist. Ich musste diese Vater-Tochter-Beziehung einfach wieder auf ein gesundes Level bringen.
Das war und ist noch immer schwer für mich. Da ist diese liebe Kari, die dann fragend links von mir steht und wissen will, ob das denn jetzt sein musste. Ob man das als gute Tochter wirklich darf und ob es richtig ist, ihn jetzt „im Stich“ zu lassen. Und dann ist das die Kari, die genau weiß, dass es nötig ist. Die ihren Raum einfach abstecken muss, damit sie ihre Panik namens Toni in den Griff bekommt. Damit sie sich nicht immer gestresst, angespannt und traurig fühlt. Das ist ein Balanceakt, der mir aber durch konsequentes, situationsangepasstes Verhalten sehr gut gelingt. Für Außenstehende mag das kritikwürdig sein. Und das bekomme ich auch ab. Das macht man nicht, so geht das nicht, das gehört sich nicht.
Das kann ich ganz gut wegstecken. Das geht nämlich keinen etwas was. Das geht nur mich und meinen Vater was an.
Das war aber, so wie es scheint, nur eine Baustelle in mir. Denn Toni ist noch immer da. Er kommt sogar, wenn ich singe. Im Chor. Ich habe mir lange überlegt, warum ich einfach so unvermittelt in Tränen ausbreche. Bei einem Lied, was ja scheinbar gar keinen Bezug zu meiner Mutter hat. Aber ich singe und sie kommt mir in den Kopf und löst ganz viel in mir aus.
Ich glaube, dass liegt nicht mal an dem gesungenen Lied. Vielmehr ist es wohl dieses Konstrukt vom Chor.
Als meine Mama starb, waren wir mitten in den Vorbereitungen für den Auftritt auf dem Weihnachtsmarkt. Sie freute sich so sehr darauf. Sie hörte mir zu, wenn ich mich auf diesen Auftritt vorbereitet habe, sie liebte das Ave Maria. Und dann starb sie 4 Tage vor dem Auftritt, den ich für sie durchgezogen habe. Weil ich das brauchte, weil ich das Gefühl hatte, es würde mir gut tun. Weil mir die Menschen in dem Chor das Gefühl gaben, es sei alles normal. Es sei einfach nichts passiert, denn nur meine Chorleiterin wusste was los war. Und alles, was ich zulassen konnte, das habe ich im Chor zulassen können. Da fühlte ich mich sicher.
Ich glaube, das ist der Grund, warum ich da am ehesten mal emotional werde und doch mal so 2, 3 Tränen kommen.
Das Problem ist nur, dass das wohl nicht ausreicht. Ich habe die Trauer zu Anfang weit weggeschoben. Ich hatte keine Zeit dafür, es gab soviel zu tun und außerdem tat es weh. Und wer will schon Schmerzen haben? Da stand dann dieses Päckchen mit der Trauer, ganz tief in mir, ich habe schön brav ein buntes Tuch drüber gelegt und gehofft, es verottet einfach. Aber, das tut es nicht. Vielmehr gärt es (danke Jasmin für diesen Vergleich). Es gärt und versprüht seine Gase.
Und wenn dann zuviel Gas in mir ist, dann bringt das diesen schweren Stein, der in mir drin ist und vieles so sehr schwer macht, ins Rollen. Und das macht dann Schmerzen, Atemnot, Herzrasen und reizt tierisch meine Augen. Es ist nie viel Gas, immer nur ein Hauch, der nur für ein paar Sekunden reicht.
Das ist der nächste Punkt, den ich bewältigen muss, um Toni zumindest ruhiger zu machen. Ich muss dieses blöde Päckchen mit der Trauer mal hervorkramen und entsorgen. Alles, was da fröhlich vor sich hinschimmelt, muss raus aus mir. Das ist mir völlig bewusst. Meine Aufgabe ist jetzt ein Friedhofbesuch. Mit Achtsamkeit, Panik und allem was dazugehört. Ich soll die Büchse der Pandora öffnen.
Aber wie kann ich etwas öffnen, was so tief in mir drin ist. Es ist mir bisher nicht gelungen, wohl auch, weil allein der Gedanke an den Friedhof den guten Toni auf den Plan ruft. Er schnürrt mir den Hals zu und ich bekomme Schweißausbrüche. Wie kann ich also diese Trauer zulassen und auf den Friedhof gehen, wenn mein Kopf das zwar alles begreift, aber mein Herz es einfach nicht greifen kann? Mein Kopf weiß, sie ist tot und kommt nicht wieder, mein Herz versteht das aber nicht. In einer kleinen Urne unter einer schwarzen Steinplatte, da soll der Rest meiner Mama drin sein? Ich verstehe die schwersten Matheaufgaben, kann mir Liedtext recht fix in den Kopf kloppen, aber das verstehe ich einfach nicht. Wie? Warum? Wie?
Bisher habe ich noch keine Weg gefunden. Ich kann mittlerweile drüber reden, der Therapie sein Dank. Aber ich habe noch keinen Weg gefunden, an diese Sache ranzugehen. Ich dachte ja wirklich, dass das mit meinen Papa schwer wird und er der einzige Grund für Toni ist. Aber die Trauer und das Zulasse, das Loslassen und sich dem Ganzen stellen, das ist eine ganz andere Hausnummer. Es ist das Schwerste, was ich bisher machen musste, und alleine diese Tatsache macht mir schon einen Hauch Panik.
Ich weiß genau, dass das sein muss, damit es mir endlich besser geht. Und ich werde das auch schaffen. Nur wie, das ist mir noch nicht klar. Der Therapeut hat mir schon liebevoll „gedroht“, diesen Gang mit mir gemeinsam zu machen, aber dann knallhart, aber ich muss da alleine durch. Es gibt einfach so Sachen, die man alleine durchstehen muss, um sie zu bewältigen und sie für immer in den Griff zu bekommen.
Warum ich das alles so offen hier schreibe? Weil ich das brauche, weil das ein Weg ist, mich zu sortieren, Klarheit zu bekommen und vielleicht auch anderen zu zeigen, dass es wichtig ist, nie vor Ängsten davonzulaufen. Ich bin noch nie vor etwas geflohen. Ich habe mich schon mal eine zeitlang versteckt, aber ich weiß, die Probleme holen einen immer wieder ein. Nur wenn man sich stellt, dann hat man eine Chance auf Besserung. Ich will endlich mein Leben ohne Angst wieder haben. Ohne Heulkrämpfe im Chor, ohne Verkrampfungen bei Jasmin. Und dafür muss ich achtsam und sortiert an die Sachen ran. Mit euch, als potentiellen Empfängern dieses Blogs, habe ich so ein wenig die Idee, nicht komplett allein zu sein, auch wenn es mir wichtig ist, diese Hürde auf dem Weg alleine zu nehmen. Ich weiß, ihr seit im Hintergrund, lest mich und stärkt mir den Rücken.
Ich brauche, glaube ich, keinen Ratschlag, ihr müsst nichts kommentieren. Mir reicht es zu wissen, dass ich vielleicht den einen oder anderen Leser habe, der imaginär im Hintergrund steht. Wenn ihr mir aber mit einem anderen Blickwinkel weiterhelfen möchtet, dann nehme ich die gerne. Denn, der Weg, wie ich das schaffen soll, der ist noch nicht so klar, wie ich das gerne hätte.