Der vierte Teil, wenn Menschen nicht der Norm entsprechen. Ich hatte euch versprochen über den nächsten Arztbesuch bei dem Neurologen zu berichten.
Wenn ich so auf den Werdegang seit einem Jahr zurückblicke, müsste man dieses Thema noch anders benennen „Götter in Weiß, ihr Wort ist allmächtig“ oder so. Denn sind wir doch mal ehrlich. Sobald wir als Patienten nachfragen, was berichten oder sich ein Fall komplizierter entwickelt als in den Lehrbüchern steht, dann wird man schief angeschaut, belächelt oder als Lügner abgestempelt. Und das hat nichts mit dem Gewicht alleine zu tun. Jetzt bin ich ja doch wieder bei der Norm. Wenn du eine Krankheit hast, die so nicht in den Lehrbüchern beschrieben steht, passt du nicht ins Raster und entsprichst nicht der Norm. Und wenn du dann noch einem Arzt gegenüber sitzt, der nur nach Schema F arbeitet, dann hast du verloren in der Medizin. Ich hol mal aus.
Es ist jetzt etwa 10 Jahre her. Da wurde ich das erste Mal an einem Bandscheibenvorfall operiert. Es ist was schief gelaufen, was ja passieren kann. Fand ich auch nicht schlimm. Die Hirnhäute wurden bei der OP verletzt und ich habe Hirnwasser verloren. Ich sollte drei Tage stramm liegen bleiben. Das war anstrengend, aber ich habe ohne zu murren alles befolgt, was die Ärzte von mir verlangt haben.
Nach den drei Tagen durfte ich wieder aufstehen Aber immer wenn ich aufstand wurde mir schlecht, schwindelig und ich hatte tierische Kopfschmerzen. Im Liegen legte sich das wieder. Als ich das bei der Visite ansprach, hieß es, das wäre nur Migräne, das Wetter sei dran schuld. Ich nahm das hin, es sind ja Ärzte. Sechs Tage nach der OP verschlechterte sich mein Zustand. Ich musste mich übergeben und mein Kopf dröhnte. Migräne, das Wetter ist sehr schwül. Okay, nehmen wir so hin.
Als meine Mama mich besuchte schlug sie allerdings Alarm. Ich lag apathisch im Bett, hatte Fieber und musste mich immer noch (mittlerweile seit 12 Stunden) übergeben. Endlich kam dann mal eine Schwester auf die Idee, mir ein Fieberthermometer unter die Zunge zu rammen. Wohlgemerkt sechs Tage nach OP! Fast 40 Fieber, ob daher meine Kopfschmerzen kommen könnten? Wer weiß, das steht so in den Lehrbüchern. Und es würde ins Raster fallen!
Nun ging alles sehr schnell. Blutabnahme, Schnelltest und keine halbe Stunde später stand fest, die Verletzung der Hirnhäute hatte zu einer Infektion geführt und nun hatte ich eine Meningitis (Hirnhautentzündung). Huch, keine Migräne, da waren die Leute aber schnell. Antibiotikainfusion, was gegen Fieber. Aber hey, passiert in nur 1 zu 10.000 Fällen bei einer Bandscheiben-OP- Entspricht nicht der Norm. Warum also dem Patienten glauben, dass es ihm schlecht geht?
Wenn ihr denkt, jetzt ist alles gut, nein, es geht noch weiter. Ich wurde als geheilt entlassen, obwohl ich immer noch, wenn auch nicht mehr so sehr schlimm, Kopfschmerzen hatte. Nach sechs Wochen wurde es meinem Hausarzt zu bunt. Jetzt glaubte er mir mal, keine Ahnung ob meine Mama wieder was gesagt hatte.
Ich wurde zum MRT wieder in die Klinik geschickt. Und was kam raus? Das Loch, was während der OP entstanden war, war noch nicht zu. Ich verlor immer noch fleißig Hirnwasser. Party. Noch ne OP. Spitze! Aber das kommt ja nur einmal in einer Millionen Fälle vor bei so einer Bandscheiben-OP. Entspricht nicht der Norm, muss man also nicht in Betracht ziehen, wenn der Patient weiterhin über Kopfschmerzen klagt. Klar, wenn man den Patienten als empfindlich einstuft und denkt der übertreibt eh, dann senkt das auch ungemein die Kosten der Behandlung.
Wenn ich das so schreibe, kommt mir echt die Kotze!
Die steckte ich jedoch besser weg und es ging mir zehn Jahre gut. Ich hab zwar immer mal wieder den Rücken gemerkt, aber das ging auch wieder weg. Kein Grund zur Panik.
Und jetzt wieder der komplette Mist. Ich passe als Patientin nicht in die Norm. Wie der Neurologe so schön zu berichten weiß: „Das steht da so nicht!“
Ich rede, beschreibe was, er glaubt mir nicht. Auf meinen aktuellen MRT Bilder (den Befund habe ich mir jetzt doch mal angefordert) ist eindeutig eine Zyste zu erkennen, nicht auszuschließen ist jedoch ein Abszess am Rücken. Kann man aber nur eingrenzen, wenn man ne Blutabnahme macht. Der Neurologe sagt mir, ist doch nicht so schlimm. Entspricht halt nicht der Norm. Blutentnahme brauchen wir nicht. Alles harmlos.
In diesem dritten Termin hat er angezweifelt was ich sage. Wies jede Verantwortung von sich, er sei dafür nicht zuständig und wenn ich was erzähle müsse er das erstmal so glauben. Aber im Grunde erzähle ich eh nur Bullshit, das steht ja nirgends, dass das der Norm entspricht. (Achtung, meine interpretierte Aussage.). Man könnte ja Messungen machen, um das zu überprüfen, aber nicht jetzt. Kommen sie doch im nächsten Quartal wieder. Ich bekomm doch jetzt eh kein Geld mehr für sie, wenn ich sie ein zweites Mal einbestelle (Achtung, Hintergrundwissen Arzthelferin!).
Ich überlege die ganze Zeit, was machen denn die Patienten, die keinen medizinischen Hintergrund haben, wie ich als Arzthelferin? Ich lass das auf keinen Fall so weiterlaufen. Ich nehme das jetzt weiterhin selbst in die Hand. Ich weiß, dass man die Schmerztherapien noch ausbauen kann, auch wenn der Neurologe dafür nicht zuständig ist. Dann gehe ich halt zu solchen Leuten, die dafür da sind. Und die auch mit meinem Hausarzt zusammenarbeiten wollen. Denn von Teamplay hält der nicht viel, der kluge Neurologe.
„Ach, ich habe mit ihrem Hausarzt telefoniert? Das weiß ich gar nicht mehr, das steht hier nicht!“
Boah ey, der nervt. Die haben vor Weihnachten extra telefoniert. Mein Hausarzt hat nochmals erläutert was uns wichtig ist und der Neurologe wusste von nichts. Sie haben extra gemeinsam überlegt, welche Schritte noch einzuleiten seien, aber er wusste davon nichts mehr. Mag sein, dass ich eine anstrengende und fordernde Patientin bin. Vielleicht hab ich auch falsche Vorstellungen. Aber bei sowas würdet ihr euch doch auch verarscht vorkommen, oder?
Aber eins wird klar. Wenn du nicht der Norm entsprichst, dann hast du verloren. Du wirst dem medizinischen System zu kompliziert und keiner will sich kümmern. Außer ein paar Ausnahmen. Mein Hausarzt und die Physiotherapeuten gehören dazu, zum Glück.
Ich glaube, diese Geschichte wird fortgesetzt, denn ich entspreche nicht der Norm. Und wenn ihr irgendwo durch das Raster fallt, gebt nicht auf! Auch wenn es nirgendwo steht, kein Standard ist oder selten. Euch gibt es, und ein Mensch ist keine Norm, sondern ein Individuum!
Bis zum nächsten Mal!