Eine meiner kontrasreichsten Wegbegleiter ist wohl mein „Früchtchen“.
Nursan. Sie begleitet mich schon etwa zehn Jahre. Angefangen hat das Ganze mit der Ausbildung. Ein kleines, schüchternes Ding stellte sich damals bei meinem Chef vor. Sie wollte Arzthelferin werden. Das sei ihr größter Wunsch.
Und obwohl ich mir immer sehr schwer tat mit neuen Menschen in meiner gewohnten Umgebung, war mir dieses dürre Ding sofort sympathisch. Kann man es als Liebe auf den ersten Blick bezeichnen? Wahrscheinlich.
Ich bildete Nursan also zur Arzthelferin aus. Mit Höhen und Tiefen. Es ist wohl der Zeit geschuldet, die man so am Arbeitsplatz miteinander verbringt. Wir verstanden uns super und schon sehr bald wurde aus Nursan mehr als eine Azubine. Sie wurde eine richtig gute und tolle Freundin. Wir konnten über alles reden. Mädchenkram. Schuhe, Schminke, Jungs, Liebe. Wir konnten über die gleichen Dinge lachen. Und wir sorgten uns gemeinsam um unsere Probleme.
Und auch als sich unsere beruflichen Wege trennten, verloren wir uns nie aus den Augen.
Sie hat immer Flausen im Kopf. Ihr Kopf immer ein wenig in den Wolken. Rebellin und treue Tochter, mehr als bei anderen Mädchen. Denn sie ist einfach mehr als nur eine deutsche junge Frau. Sie hat Träume und Wünsche und versuchte lange Zeit einen Platz zu finden. Sie ist Kurdin, Jesidin, Deutsche, Türkin. In ihr ist rein von ihrer Abstammung so viel Wirrwarr, dass ich ihr nicht verdenken kann, dass sie sich stets fragte. Wo gehöre ich hin, wer bin ich eigentlich, was ist denn mein Sinn im Leben? Die Freiheiten in Deutschland, ihre kurdische Abstammung, der Glaube der Jesidin. Tradition in Einklang bekommen mit den westlichen Wünschen. Das war immer, wie soll ich ausdrücken? Das war immer etwas was sie belastete und war stets ein Kampf, auch wenn sie es immer versuchte zu überspielen. Immer war die Frage da, darf ich das als gute Tochter?
All ihre Versuche, sich hier so wohl zu fühlen und einen Sinn im Leben zu bekommen schlugen fehl.
Und dann ging sie einen Schritt, den ich bewundere und für die ich sie noch immer erschlagen könnte.
Anfang des Jahres ging sie in den Irak um dort medizinische Hilfe zu leisten bei ihrem Volk, dem der IS so zugesetzt hat.
Ich verstand, warum sie das tat. Ich konnte sie so gut verstehen. Aber dennoch war ich sauer und voller Angst. Aber auch voller Bewunderung für ihren Mut und ihren Einsatz, den sie ihren Wurzeln zuliebe an den Tag gelegt hat.
Zum Glück ist sie nun wieder zurück und wir sind alle heilfroh. Die Zeit in dem Krisengebiet hat sie geprägt. Aber auch mit mir hat das viel gemacht. Das erste mal habe ich mich mit ihrem Glauben auseinandergesetzt, den ich nie verstanden habe. Ich habe mich mit dem IS beschäftigt, viel über Politik und Erdkunde gelesen und habe die Chance ergriffen, meinen Horizont zu erweitern.
Dafür liebe ich dich, Nursan. Und ich bin dir so unendlich dankbar. Du hast mir gezeigt, dass es manchmal wichtig ist, ein Risiko einzugehen. Um mehr zu sehen, mehr zu verstehen und auch zu sich selbst zu finden.
Auch wenn es nun schwer ist wieder hier anzukommen, glaube ich fest daran, dass es alles wert war.
Ich sehe deine Freude und dein Strahlen. Und ich sehe noch mehr…… eine Tiefe in deinem Blick, der so viel erzählt, der soviel erlebt hat. Sei stark, du hast es schon bewiesen, dass du stärker bist, als wir alle dachten.
Danke für deinen Mut, deine Kraft und deine Entschlossenheit. Bleib einfach an meiner Seite.
Ich bin so stolz auf dich, mein Früchtchen!