Der 12. Dezember 2016.

Morgens trank ich wie immer Kaffee. Es war schon sehr kalt draußen, so dass ich mit der Tasse in der Hand wieder auf das Sofa und unter die Decke kroch.

Um kurz nach acht Uhr kam ein Anruf. Der Anruf, der uns allen den Boden unter den Füßen ins Wanken brachte.

Ein Jahr ist es nun her. Und ich habe bisher nicht richtig trauern können. Noch immer fühlt es sich an, als wäre alles ein schlimmer Traum, aus dem ich einfach nicht aufwachen kann. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich einfach zum Telefon greife, weil ich ihr was erzählen mag.

Ich ging ans Telefon und meldete mich. Es war die Dialysepraxis, zu der meine Mama drei Mal die Woche fuhr, weil sie keine Nieren mehr hatte.
Das war schon seit Jahren so, mal kurz mit Unterbrechung, weil sie ein Spenderorgan hatte. Aber das wurde abgestoßen.
Mit der Dialyse ging es ihr, bis auf die typischen Nebenwirkungen, gut. Es ging ihr sogar fast besser, als mit der Spenderniere, denn da waren die Medikamente so heftig, dass es sie oft ausbremste und ihr vieles schwer machte. Dialyse bedeutete zwar immer Verzicht, aber sie lebte trotzdem ihr Leben.
Es war Frau Doktor Bentlage. Ich wusste genau, wenn die so früh bei mir anrufen, dann ist bestimmt etwas geschehen.
Sie berichtete, dass Mama einen Herzstillstand gehabt habe, aber wiederbelebt werden konnte und nun auf dem Weg in die Klinik sei. Ich solle mir keine Sorgen machen, sie sei wieder ansprechbar gewesen und habe auch klar und deutlich auf Fragen geantwortet. Sie solle einfach zur Beobachtung ins Krankenhaus.
Danach legte sie wieder auf.
Ich stand da, mit meiner Kaffeetasse in der Hand, und starrte fassungslos aus dem Fenster.

Ich wusste, dass ich heute bloggen wollte, aber ich wusste nicht in welche Richtung dieser Post geht. Das weiß ich noch immer nicht. Ich tippe einfach und schau was raus kommt. Das habe ich in den letzten Monaten nämlich nicht gemacht. Einfach meinen Gefühlen nachgeben. Ich musste zusehen, dass ich funktioniere, denn das alles brachte so viel mit sich, so viele Veränderungen, dass ich einfach keine Zeit zum Trauern hatte… Und nun? Fühle ich mich um diese Zeit betrogen, ich habe mich, glaube ich, selbst um diese wichtige Zeit gebracht, weil ich dachte, ich darf das nicht. Oder es wäre noch nicht angebracht, weil ich dann nicht funktioniert hätte.

Ich war irgendwie wie benommen und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich musste mich erstmal sortieren. Mir wurde völlig unerwartet gesagt, dass meine Mama ganz kurz tot war. Aber nun sei sie wieder da. Das fühlte sich an, wie ein Schalg in den Magen und als würde jemand eine Glaskuppel über dich stülpen, so dass du alles nur noch dumpf hören und fühlen kannst.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich mich beruhigt und rief dann überall an. Erst meinen Vater, dann Sascha und zum Schluss meine zu dem Zeitpunkt schwangere Schwester. Das gab mir ein wenig Halt.
„Es geht ihr aber gut, sie war ansprechbar und reagierte.“
Das war der Zaubersatz, der wie ein Mantra immer und immer wieder gesagt wurde und auch, als ich die Gespräche schon lange beendet hatte, sagte ich mir diese Worte selbst.
Ich kam langsam zur Ruhe und wartete etwa ein Stunde, bis ich in der Klinik anrief. Dort konnte ich sogar mit meiner Mama direkt sprechen. Sie klang zwar etwas benommen, sie wusste auch nicht wirklich, was geschehen war. Aber es ging ihr gut und wir verabredeten, dass meine Schwester und ich ihr ein paar Sachen ins Krankenhaus bringen würden.
Ich informierte Sascha, der nach Hause kommen wollte, um von zu Hause weiterzuarbeiten. Ich fand sogar die Ruhe, für den Chor Santa Claus is coming to town zu üben.

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Die Musik und der Chor, auch an diesem Tag gaben sie mir Halt und gaben mir Sicherheit. Hätte ich so einen witzigen Song gesungen, wenn ich gewusst hätte, was der Tag noch bringen würde?
Wahrscheinlich hätte ich das getan. Denn egal was ich tat, es hätte nichts am Ende gebracht. Es kam alles so, wie es kommen sollte.

Als Sascha da war, machte ich mich auf den Weg zu meinem Papa und packte meiner Mama das Wichtigste ein. Meine Schwester holte mich ab und wir fuhren gemeinsam zu meiner Mama.
Wir wurden in das Wartezimmer auf der Intensivstation geschickt, wo wir warten sollten, und wir warteten und warteten und warteten.
Es verging fast eine Stunde und wir wussten nicht, warum wir warten mussten.
Erst als die Oberärztin uns in ihr Sprechzimmer holte, ahnten wir beide wahrscheinlich, was geschehen war.

„Es tut mir Leid, aber ihre Mutter hatte einen weiteren Herzstillstand, doch dieses Mal konnten wir sie leider nicht wiederbeleben.“

Könnt ihr euch vorstellen, was diese ersten Worte in mir gemacht haben. Wenn eine Ärztin sich für etwas entschuldigt, dann nicht, weil irgendwas banales passiert ist. Dann geht es immer um Tod. Eine Krankheit, die schwer ist, unheilbar, ein Unfall oder eben ein Herzstillstand. Ich musste das erstmal sacken lassen, ich verstand das nicht wirklich. Ich merkte nur, dass ich weinen musste, aber mir wollte nicht in den Kopf, warum ich weinte. Meine Schwester war irgendwie reflektierter als ich.

„Das gibt es doch nicht. Aber alles, gut, daran könne sie ja nichts ändern!“ unterbrach sie die Stille.

Die Ärztin informierte einen Seelsorger und schickte uns nach draußen. Wir sollten noch warten, Mama sollte noch fertig gemacht werden, dann könnten wir zu ihr.
Wir informierten draußen alle, die nötig waren. Alle waren fassungslos.
Während ich einfach in der Kälte saß und darüber nachdachte, dass ich ja gar keine schwarzen Schuhe hätte, war meine Schwester sauer. Sie hätte gerne irgendwo reingeschlagen. Aber eines verband uns. Wir konnten nich glauben, was geschehen war.
Wir waren doch da, um sie zu besuchen, nicht um zu erfahren, dass sie gestorben sei.

Nach und nach kamen Lars, Sascha und mein Papa, kamen Whats App Nachrichten, von den schriftlich informierten, aber es wurde einfach nicht realer.

Auch wenn ich das hier so tippe fühlt es sich an wie ein falscher Film? Das habe ich echt erlebt? Und das habe ich geschafft. Ich weiß nicht, was ich für heute, für den 12.12 erwartet habe. Das es auf einmal alles ganz leicht ist und ich es endlich greifen oder begreifen kann? Das mit ich endlich nicht mehr das Gefühl von Leere und Traurigkeit habe? Das es endlich weg ist und das normale Leben weitergeht? Aber es ist ja nichts normal. Das habe ich mir vom Tippen tatsächlich erhofft, aber, noch ist es immer nicht greifbar.

Wir durften Mama sehen, alle gingen anders damit um. Nicole sprach mit ihr und berührte sie. Sogar mein Papa konnte zu ihr und schaffte es sehr gut.
Ich traute mich nicht wirklich. Ich sah sie, sie sah aus, als würde sie schlafen. Ich bildete mir sogar ein, dass sie lächelte.
Mal ging wer raus, mal ging wieder wer rein.
Wir waren alle still.
Und auch der evangelische Seelsorger kam, der lange mit uns allen redete.
Er fragte mich, was Mama jetzt wohl zu mir sagen würde.
„Das ich nicht weinen soll.“
Das war meine Antwort.
Aber der Seelsorger sagte wahrscheinlich den schönsten Satz, den ich je gehört habe.
„Man sollte jede Träne, die man um sie weint aufbewahren können wie einen Schatz.“

Ich konnte nicht so richtig weinen. Nur so ein wenig. Mein Schatz ist nicht groß, den ich für sie aufbewahren kann. Ich glaube, dass auch das mir in den letzten Wochen ganz schön zu schaffen macht. Mein schlechtes Gewissen. Natürlich muss ich manchmal weinen, aber irgendwie eher aus Wut, weil ich sie mir nicht einfach wieder herbeiwünschen kann.

Meine Schwester und Lars fuhren wieder, während ich mit Sascha und Papa noch auf den katholischen Priester wartete. Ich wusste, dass es Mama wichtig war, die letzte Segnung am Bett zu bekommen.
Wir beteten zu viert das Vater unser, ein Ave Maria und er sprach einen Segen. Er war längst nicht so einfühlsam wie der evangelsiche Kollege, aber dieses Ritual tat gut. Etwas Bekanntes, an was ich mich klammern konnte.

Während ich bei meiner Mama noch auf ihr Eigentum wartete, saß ich alleine an ihrem Bett.
Das erste Mal war ich in der Lage ihre Hand zu halten. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte und so entschloss ich mich für sie zu singen. Ein Lied aus dem Chor, das sie so gerne auf dem Weihnachtsmarkt gehört hätte. Mit erstickte Stimme sang ich also „Wenn ich ein Glöcklein wär“. Dabei hielt ich ihre Hand. Und als ich ging sagte ich nur Tschüß…. was hätte ich auch sonst sagen sollen?

Musik…. was wäre ich ohne sie?
Aber sie schaffte es auch nicht, dass alles realer werden zu lassen.

Danach ging alles wie im Film und die Weihnachtszeit flog nur so dahin.
Die Trauerfeier war noch vor Weihnachten, verbrannt wurde sie an Heilig Abend und zwischen den Jahren war die Beisetzung.
An die Daten von Trauerfeier und an die Beisetzung kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an das Datum der Verbrennung. Heilig Abend….

Es fühlt sich so schwer an. Aber ich glaube, Mama hätte das gefallen. Das hört sich makaber an, aber gerade Weihnachten hat sie so sehr geliebt.
Ich versuche dieses Jahr Weihnachten eine Chance zu geben, dass Weihnachten schön wird. Bewusst versuche ich diese Kleinigkeiten wahrzunehmen. Der Duft, die Lichter, der Zauber der frühen Dunkelheit.
Ich rede manchmal mit ihr und ich glaube, dass sie mich hört.

Es heißt immer, ein Jahr trauert man bewusst und dann wird alles einfacher. Das kann ich hiermit nicht bestätigen. Das Jahr ist heute um, aber meine Traurigkeit ist noch da.
Da kannst du noch soviele Kleinigkeiten finden, die schön sind.

Es ist wirklich, wie zu Weihnachten. Meine Trauer ist wie so ein Weihnachtsbaum. Du holst ihn dir ins Haus, er ist irgendwie traurig, er wurde abgeholzt um uns für 2 Wochen zu erfüllen. Dann schmückst du ihn, mit den hellsten Lichtern, mit Sternen und Kugeln. Das ist schön und man sieht die Traurigkeit nicht. Aber sobald im Januar der Baum abgeschmückt wird, sieht man, dass die Traurigkeit nie weg war, dass sie unter der vielen strahlenden Schönheit nur verborgen war.
Aber das ist völlig in Ordnung. Die Trauer darf immer wieder kommen, denn das ist ein Zeichen für Liebe. Wir haben unsere Mama geliebt und sie fehlt auch heute, ein Jahr nach ihrem Tod, noch an allen Ecken und Enden.

Ich will diese Traurigkeit in mir gar nicht komplett vergessen, denn dann würde ich meine Mama vergessen. Aber ich kann die Traurigkeit mit anderen Sachen überdecken, so dass sie in mir schlummert und nur ab und zu mal hochkommt. Wie jetzt zur Weihnachtszeit, an Heilig Abend, oder wenn ich die Musik höre, die sie so gerne gehört hat.

Mama, jede Träne, die ich heimlich verdrücke, die ist für dich und ich werde sie aufbewahren wie einen Schatz. Und wenn wir uns wiedersehen, dann schenke ich dir jede einzelne voller Freude.
Danke, dass du uns jeden Tag unser Leben bunt gemacht hast, obwohl es dir nicht immer so gut ging.

Wir vermissen dich und wir lieben dich!

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